Heute Nacht hatte ich einen Traum. Ich habe einen Menschen gesehen, der seit einigen Jahren nicht mehr zu meinem Leben gehört. Dieser Mensch hat mir einmal sehr viel bedeutet und lange Zeit war mir nicht klar, dass es neue Menschen für mich geben kann. Damals hatte ich sehr viel Angst vor dem Alleinsein, weil ich dachte, dass mich sonst niemand mögen könnte. Sicherlich sind diese Zweifel normal, doch mit der Zeit habe ich gelernt, damit umzugehen. Und ich habe gelernt, dass es nicht schlimm ist, Menschen gehen zu lassen.
Nun gibt es verschiedene Arten, auf die man einen Menschen gehen lassen muss. Ich habe drei davon erfahren und alle waren auf ihre eigene Art schmerzhaft. Und wenn ich das so schreibe, dann meine ich es genau so. Es ist ein Gefühl, dass ich nie mehr vergessen kann, aber auch nicht möchte, denn es erinnert mich daran, dass es einmal Menschen gab, die ich geliebt habe und vielleicht noch liebe, auch wenn sie nicht mehr zu meinem Leben gehören. Jede Person, die ich einmal in mein Herz geschlossen habe, bleibt auch dort, selbst wenn der Kontakt längst nicht mehr da ist. Allein meine Träume zeigen mir, dass sie mir niemals egal sein können. Wo eine zeitlang vielleich Hass war, muss einmal Liebe gewesen sein. Und letztlich haben all diese Menschen - und ihr Verlust - mich geprägt und das aus mir gemacht, was ich jetzt bin.
In meinem Traum war dieser Mensch also da. Nicht so, wie er heute ist - höchstwahrscheinlich -, sondern so, wie es sich mein Kopf zusammengesponnen hat. Am Anfang war da ein normaler Umgang miteinander, egal, was eigentlich passiert war, wir konnten miteinander reden. Zum Ende hin kam jedoch das durch, was mich letztlich zu dem Schluss brachte, mich von diesem Menschen zu entfernen: Er tat mir nicht gut. Hat mich verletzt. Durch die Verbindung mit ihm habe ich mich verbogen, ich war nicht mehr ich selbst und wurde nicht akzeptiert, wie ich war - Klar, wie sollte mich auch ein Mensch so nehmen, wie ich bin, wenn ich selbst nicht mal wusste, wer ich war.
Ich bin älter geworden. Eine Tatsache, die mir schmerzlich bewusst wird, wenn ich darüber nachdenke, dass mein nächster großer Geburtstag gefeiert wird, wenn eine drei vorne steht. Dabei fühle ich mich nicht so. Doch manchmal, vor allem bei diesem Thema, fühle ich mich doch sehr erwachsen.
Menschen gehen lassen. Was heißt das eigentlich?
Manchmal passiert es einfach so. Menschen, die man liebt, werden aus dem Leben gerissen. Plötzlich ist da ein Loch, mit dem man konfrontiert wird. Alles, wirklich ALLES ändert sich von einer Sekunde auf die nächste, auch wenn man es nicht direkt bemerkt.
Sterben ist nicht schlimm, wenn man stirbt. Es ist schlimm für die, die zurückbleiben.
Darum habe ich keine Angst mehr vor dem Tod. Er gehört zum Leben dazu wie auch die Geburt, die die meisten Menschen jedes Jahr aufs Neue feiern. Uns wird beigebracht, dass man dann mal so richtig einen drauf machen kann. Doch niemand sagt uns, wie wir mit dem Verlust eines Menschen umgehen sollen, der uns nahe steht. Damit ist jeder allein, vor allem in unserer Gesellschaft, in der das Thema so tabuisiert wird. Jeder muss seinen Weg allein finden, allein mit den vielen Fragen im Kopf fertig werden. Was wäre wenn ...? So viele Fragen, die man stellen wollte und die doch nie beantwortet werden können. Damit seinen Frieden finden ... dauert. Und ob man ihn so überhaupt erlangen kann? Ich weiß es nicht.
Die Träume, in denen ich diesen Menschen begegne, sind über die Jahre weniger geworden. Immer wieder hatte ich in ihnen Fragen gestellt, deren Antworten so absurd sind, dass ich sie vermutlich nicht einmal in Romanen aufarbeiten könnte. Aber nicht alles gehört der Welt erzählt. Es hilft, wenn man es sich immer wieder selbst erzählt und niemals vergisst, dass es genau diese Menschen gab ...
Weiß man, dass man einen Menschen liebt, bevor er plötzlich nicht mehr da ist? Ja. Aber wie sehr? Nein, zumindest wurde mir das nach einem ebenfalls sehr, sehr schweren Verlust bewusst. Mit diesem Menschen hat mich mehr als nur eine Freundschaft verbunden, im Nachhinein könnte ich sogar sagen, es war meine erste Liebe. Doch da ich weiß, dass die Erinnerung vieles verklären und in ein anderes Licht rücken kann, bleibe ich dabei, dass es ein Mensch war, der mir sehr, sehr wichtig war.
Wir waren nahezu unzertrennlich, bis etwas passierte. Ich weiß nicht einmal mehr genau, warum oder wie es dazu kam, doch seitdem war es nicht mehr wie vorher. Wir waren irgendwie entfernt von einander und es zerreißt mich innerlich, weil ich mir manchmal wünsche, ich hätte etwas besser machen können müssen. Gleichzeitig ist mir aber auch klar, dass es nicht ging. In der Zeit, in der wir uns am meisten brauchten, konnten wir nicht für uns da sein. Und so verlor ich meine vermutlich erste große Liebe durch die Umstände einer schwierigen Zeit und einer Jugend, die so naiv war zu glauben, alles würde so bleiben, wie es ist. Für immer. Und während ich dies schreibe, wird mir klar, dass so eine Liebe tatsächlich bleibt, genau wie die Kiste voller Erinnerungen, die wir gemeinsam vergruben und schon längst wieder geborgen haben wollten ...
Ich habe dagegen angeschrien - mehr innerlich als nach außen -, habe mich betäubt, mich abgelenkt. Doch wenn ein Mensch gehen will, dann muss ich ihn ziehen lassen. Sich an einen anderen Menschen klammern - egal mit wie viel Kraft -, hat bisher mehr kaputt gemacht, als gerettet. Und mich selbst fast zerstört. Es gibt Entscheidungen, auf die hat man keinen Einfluss und manche Menschen sind dafür da, uns ein kleines Stück in unserem Leben zu begleiten und dann wieder zu verschwinden. Aber für diesen gemeinsamen Weg bin ich dankbar. Und so bleibt in meinem Herzen ein gutes Gefühl und die Gewissheit: Da gab es einen Menschen in meinem Leben, den ich bedingungslos geliebt habe. Und Liebe, wahre Liebe - egal in welcher Beziehung man zu diesem Menschen steht -, lässt gehen und hält nicht fest. Wahre Liebe ist es dann, wenn es dir wichtiger ist, diesen Menschen glücklich zu sehen, als selbst mit ihm zusammen zu sein.
Dann gibt es Menschen, die Lieben dich und erdrücken dich mit ihrer Liebe. So, dass du nicht atmen kannst. Über die Jahre habe ich gelernt, dass ich atmen können will - auch in der Liebe. Habe ich mir dann diesen Platz geschafft, schlug diese Liebe in Hass um. Am Anfang hat er mich verletzt, aber dann habe ich ihn verstanden.
Vermutlich gibt es nichts Schlimmeres auf der Welt, als abgewiesen zu werden, als das Gefühl zu haben, nicht geliebt zu werden. Doch auch damit muss man umgehen lernen. Es bringt niemandem auch nur irgendwas, wenn man beginnt, dem anderen Vorwürfe und Beleidigungen an den Kopf zu werfen. Sicher habe ich auch mal so reagiert, schließlich bin ich kein Übermensch, aber irgendwann hat sich das Blatt gewendet. Ich habe irgendwann angefangen, diesen Hass und diese Wut auf mich genauso anzunehmen, wie die Liebe, bevor sie mir die Luft zum Atmen genommen hat. Ich habe begonnen, sie nicht mit Hass und Wut zu beantworten, teilweise habe ich versucht, ihr ein Ziel zu sein, sie bestärkt, in der Hoffnung, es würde dem anderen helfen, mit seinen Gefühlen umzugehen. Dinge herauszubrüllen (oder zu schreiben) kann manchmal einfach gut tun. Sicher, eigentlich sollte man sie nicht an die betreffende Person richten - wer denkt in so einer Situation aber schon logisch -, denn so könnte sich die Sache einfach nur hochschaukeln.
Ob mein Verhalten hier richtig ist, oder nicht, können wir einfach mal außenvor lassen. Ich glaube, in der Liebe gibt es kein richtig und falsch - letztendlich kommt es doch nur darauf an, was man fühlt und wie man damit umgeht. Darüber zu urteilen, ändert nichts.
In meinen Augen ist es der letzte "Akt der Liebe", den ich jemandem entgegenbringen kann - ihm versuchen zu helfen, mit seinen Emotionen umzugehen.
Ich habe für mich nicht immer so klar gesehen, meine Entwicklung habe ich ja eben hinreichend beschrieben. Es ist mein Weg, meine Entscheidung, mit anderen Menschen umzugehen. Vielleicht lässt es mich kalt erscheinen - auch diesen Gedanken habe ich mitunter. Doch für mich ist es nicht verwerflich, mit anderen so umzugehen, wie ich auch selbst behandelt werden möchte.
Wenn ich einen Menschen liebe, dann möchte ich in seiner Nähe sein, ohne ihn zu erdrücken. Ich versuche (und daran arbeite ich ständig), anderen die Freiheit zu geben, weil ich sie selbst auch einfordere, weil ich sie brauche, um ich zu sein.
Deswegen liebe ich jemanden nicht weniger.
Wenn mir jemand wichtig ist, dann nehme ich mir die Zeit, um ihm zuzuhören, für ihn dazusein - nur wenn ich mit Wut, Hass und Vorwürfen konfroniert werde, kann meine Reaktion schon mal auf sich warten lassen - schließlich hat niemand Lust, sich jederzeit damit zu beschäftigen. Doch eines werde ich auch in Zukunft vermeiden: zurückzuschießen.
Deswegen ist mir jemand nicht weniger wichtig.
Wenn jemand geht, ohne dass ich mich verabschieden kann. Wenn jemand geht und noch so viele Fragen offen lässt. Wenn jemand geht und nie wieder zurückkehrt, ... dann hilft es auch nur, das zu akzeptieren und mit diesem Wissen JEDEM Menschen, der einem JETZT etwas bedeutet, das auch zu sagen.
Kommentar schreiben