Einmal im Jahr, gibt es diesen Monat, in dem sich alle Autoren im Ausnahmezustand befinden. Sie schreiben wie die Verrückten, fünfzigtausend Wörter sind das Ziel. Jeder hat es vor Augen. Eine Geschichte beenden. Das ist Wahnsinn.
Die Vorfreude ist riesig, die Euphorie in den ersten Tagen groß. Und dann geht das Theater los. Jedes Jahr von Neuem. Ich bin ehrlich mit euch: ES KOTZT MICH AN!
Die misstrauischen Blicke auf die Statistiken. Wörter vergleichen. "Der hat mehr als ich. Find ich doof."
Und der ganz vorn hat schon am ersten Tag die fünfzigtausend Wörter geschafft. "Wie kann das sein? Der muss doch geschummelt haben!"
Dann greift der Hänger in der Mitte um sich. Ab der zweiten Woche fängt es an, härter zu werden. Die Geschichten sind in der Handlung vorangekommen. Der Plot funktioniert vielleicht nicht mehr so wie er soll. Und die ganz vorne haben schon fast die hundertausend Wörter erreicht. "Die spinnen doch. Was soll das denn? Warum demotivieren die mich so? Machen die das mit Absicht?"
Es sind keine misstrauischen Blicke mehr. Sie sind verächtlich, missachtend, ja, sogar hasserfüllt.
Die dritte Woche wird richtig Krass. Die ersten haben schon lange aufgegeben. "Zwanzigtausend Wörter im Rückstand. Die hole ich nie wieder auf." Und die ganz vorn? Sie eilen schon auf die hundertfünfzigtausend Wörter zu.
Insgeheim wird gewettert. Werden alle, die weniger Wörter haben als man selbst, aufgemuntert, wird ihnen gut zugesprochen und mit jedem erreichten Hunderter mitgejubelt, bekommen diejenigen, die ganz vorne sind, verächtliche Blicke zugeworfen. "Die machen doch den ganzen Tag nichts anderes, die haben doch keinen Job oder so, keine Kinder, einen Partner, der sich um den Haushalt kümmert. Die sind doch einfach nur krank!"
Innerhalb von drei Wochen entwickelt sich aus der anfänglichen Euphorie, aus dem "Wir schaffen das Gemeinsam"-Gefühl, Hass und Verachtung für die, die besser sind, als man selbst. Ausreden werden erfunden, warum es so sein kann. "Ja, ich, ich hab einen Job und eine Familie, die krank feiert und dann noch der Hund und der Haushalt und dann will man ja auch noch mal schlafen."
Wisst ihr, was das ist? Was dieses Verhalten, was ich jetzt schon seit drei Jahren beobachtete, in mir auslöst? Ich werde traurig. Traurig, weil man anderen nichts gönnt, weil man sich nicht mit ihnen freuen kann.
Ich kenn das, ich habe das durch. Mein erstes NaNo-Jahr, oh, war ich eifersüchtig! Ich hing nicht hinterher, aber ich wollte auch vorne mitmischen.
Ich kenn das, ich hab das durch. Bei vielen NaNo-Camps habe ich es versucht und bin gescheitert. Nicht mal dreißigtausend Wörter habe ich geschafft.
Ich kenn das, ich hab das durch. Das Camp im Juli 2014. Ich habe am ersten Juli über zehntausend Wörter geschrieben. Am fünften hatte ich die fünfzigtausend Wörter zusammen. Ich bin an zwei Tagen davon in der Uni gewesen. Der Haushalt ist liegengeblieben. Das war meine Entscheidung. Ich hatte Unterstützung, musste mir kein Essen kochen. Es war eine geile Erfahrung.
Ich kenn das. DAS. Jedes Jahr die gleiche Kacke. Autoren, die gemeinsam einen Monat schreiben wollten, hassen sich. Warum? Eifersucht, weil die anderen mehr geschrieben haben als man selbst. Habt ihr so wenig Vertrauen in euch selbst? Autoren sind für mich die Menschen, Künstler allgemein, die Frieden in die Welt bringen sollten, die Geschichten unter die Menschen streuen, ihnen Hoffnung geben und Vertrauen auf eine bessere Welt.
Aber sie selbst, sind nicht die besseren Menschen.
Ich liebe den NaNo, doch so langsam zweifle ich daran, ob es wirklich das Gemeinschaftsprojekt ist, das mich immer so motiviert, sondern einfach nur eine Zurschaustellung der eigenen Ausreden, warum man nicht schreiben kann.
Wer guten Gewissens den NaNo nicht schafft, sich nicht in Ausreden verstrickt oder versucht, die Schnellschreiber schlecht zu machen, der hat den NaNo für mich trotzdem gewonnen. Denn er hat den NaNo verstanden.
Liebe Autoren da draußen. Ihr schreibt zunächst für euch, nur für euch. Es ist eure Geschichte, die ihr auf eure Art schreibt. Nur für euch. Und wenn ihr ehrlich zu euch seid, dann schreibt ihr im NaNo doch mehr als sonst. Wenn ihr ehrlich seid, dann ist es der Monat im Jahr, in dem ihr euch erlauben dürft, vor euch selbst und euren Mitmenschen, den Abwasch stehen zu lassen. Wenn ihr ehrlich seid, dann liebt ihr den NaNo genau wie ich.
Ich bin Tinka. Es ist mein dritter NaNo. Mit aktuell 22.426 Wörtern liege ich noch 4.240 Wörter hinter dem Tagessoll. Ich bin an noch keinem Tag im NaNo über dieser magischen Linie gewesen. Aber ich schreibe weiter. Und das solltest du jetzt auch tun. Die Zeit, in der du dich über andere ärgerst, kannst du schon zum Schreiben nutzen ;-)
Ich liebe den NaNoWriMo. Und du?
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